ELEMENTE

 

EXTRUDER
ER IST DAS WERKZEUG: WIE EIN VULKAN, DER LAVA AUSSTÖSST.

 

KUNSTSTOFF
DAS MAGMA IST DER STOFF DIESES JAHRHUNDERTS. DER KÜNSTLICHE STOFF. DER STOFF AUS DEM KUNST WIRD.

 

TECHNIK
ICH FORME UND REGULIERE DIE MASSE, ORGANISIERE IHRE WILLKÜRLICHE GESTALT, BIS DIE PLASTIK ERKALTET UND ERSTARRT.

 

FORM
JEDE EIN UNIKAT. DIE STRUKTUR IST ORGANISCH. FLORALE LICHTSKULPTUREN.

 

LICHT
ES MACHT DIE PLASTIK TRANSPARENT UND ERLEUCHTET SIE VON INNEN. ES ENTHÜLLT IHR WESEN.

 

 

JEMAND SAGT
ES ERINNERT MICH
ERINNERT AN CHARMEUSE   FELLATIO   DESSOUS AUS SEIDE
JEMAND SAGT
ES ERREGT OBSZÖN MEINE WOLLUST
JEMAND SAGT
ES WIRFT FRIVOLE FALTEN
WIE DER RAND DES KELCHES EINER BLÜTE
JEMAND SAGT
METARMOPHOSE   INSIDE OUT   DILDO FÜR AUSSERIRDISCHE
JEMAND SAGT
GESTAUCHT   GEZOGEN    GESTRECKT    UND GEKRÜMPELT
ES SIEHT AUS WIE EIN GEFOLTERTES HIMBEERSCHNITTCHEN
ICH ABER SAGE EUCH
ES IST LICHT

 

 

SEIT ÜBER 30 JAHREN BESCHÄFTIGT SICH MARLIES VON SODEN MIT KOSTÜMGESTALTUNG UND BÜHNENBILD
BEIM FILM UND THEATER. WIE EIN RELIEF FORMT SOWOHL DAS KOSTÜM ALS AUCH DAS BÜHNENBILD EINEN
RÄUMLICHEN EINDRUCK. DIE REDUKTION IST DER FALTENWURF. FÜR DEN MOMENT HALTBAR,
ABER IM NÄCHSTEN VERGÄNGLICH. DIESE IMMANENTE FASZINATION HAT MARLIES VON SODEN AUF DAS
MATERIAL POLYPROPYLEN ÜBERTRAGEN: DIE ERSTARRUNG DER DURCH ÄUSSERE EINFLÜSSE
BEDINGTEN VERGÄNGLICHKEIT, DAS FESTHALTEN DER SINNLICHKEIT VON KURZLEBIGEN
MOMENTEN. DER GEGENSATZ VON ERSTARRTEM MATERIAL, VERLETZLICHKEIT UND
NACKTHEIT WIRD DURCH DIE FARBWAHL VERSTÄRKT. ES ENTSTEHEN ORGANISCHE, FAST
BAROCKE MORPHOLOGIEN, DIE AUS EINER INNEREN WÄRMESTRAHLUNG GEBOREN ZU SEIN
SCHEINEN. DIE MATERIE WIRKT VERSCHMOLZEN, IN SICH EINGEROLLT. SCHLAUCHARTIGE
FORMEN ERINNERN AN MONSTRÖSE BLUMENKELCHE, RIESENMUSCHELN, VON
KRÜMMUNGEN UND WELLEN DURCHFURCHT.

 

Text: Heiko Schier

 

Rede zur Ausstellungseröffnung Marlies von Soden / Roland Hohlbaum, Galerie Tammen, Berlin, 13.06.2014

 

Von einzigartigem Schauwert sind die Plastiken und Lichtobjekte von Marlies von Soden. Sie faszinieren uns wegen ihrer aufwallenden, aber nichtsdestotrotz anmutigen, schwingenden Formen, die aussehen als wäre eine Robe à la Française plastiniert worden. Man denkt an Rokoko-Gewänder und an versteifte Seide. Vielleicht auch an Wachs.

Aber das Material, mit dem Marlies von Soden diese höfisch-exotisch ausschauende Kollektion zum Leben erweckt, ist – Kunststoff: Polypropylen. Der allerdings nicht wie Kunststoff wirkt. Denn in der Art, wie er sich gibt, ist er luftig und fragil. Die Künstlerin lässt ihn mit Hilfe einer Maschine fertigen, einem Extruder – mal dicker, mal dünner, mit mehr oder weniger Farbe, mal wird nur die Schnittkante am Rand eingefärbt.
Immer wieder hat sie die Firmen wechseln müssen, weil die Extruder natürlich nicht für die Kunst produzieren, sondern für die Industrie.

Dass wir in den Genuss kommen, ihre Werke in dieser Galerie zu sehen, ist ein Glücksfall. Auf ihren leuchtenden Sockeln eröffnen sie skulpturale Möglichkeitsräume, die durch Licht- und Schattenbildung hinreißend gewichtslose Ereignisse kreieren – in milchigem Weiß, lachsfarben, rötlich, in einer langen Wellenlinie von Weiblichkeit. Drapierung und Fältelung bilden Überlagerungen und lassen Schattierungen entstehen.

Wie berückend die Federleichtigkeit der Objekte sein kann, sieht man gut an den großen zitronenfarbenen Fotografien an der Stirnseite des linken Galerieraumes.

Schwärmerisch schrauben sie sich als unerreichbares Ideal des Zarten horizontal oder vertikal in die greifbare Realität.

 

Marlies von Soden ist als Kostümbildnerin für Theater und Film tätig gewesen.
Sie hat künstlerisch mit Neopren gearbeitet, mit Tyvek (Polyethylen-Flies) und Phenolschaum.
In der Hand dieser Künstlerin werden aus den von ihr verwendeten Stoffen Formen, die für jeden Inhalt offen sind. Dieser Freiheitsaspekt bewahrt den Lichtobjekten das Spielerische.

Diese Lichtobjekte befinden sich in den unterschiedlichsten zeitgenössischen Sammlungen, beispielsweise in der von Madame Olivetti oder im Design-Museum von Robert Wilson auf Long Island.

Mit Blick auf das Lichtdurchlässige begreift man, dass gerade diese scheinbar regellose, willkürliche Wendelform  eine vollendet reiche Form ist, die als attraktives Lichtobjekt in diverse Lebenszusammenhänge gerückt werden kann.

 

Sinnlicher kann die Stofflichkeit von Kunststoff wohl nicht überlistet werden.

© 2014 Christoph Tannert, all rights reserved by the author
Translated by Allison Brown